Singen Sie noch? - 17.5.2025
So manche totgeglaubte Tugend ist hierzulande wieder zu neuem Leben erwacht. Dazu gehören Dinge, auf die es sich zurückzubesinnen lohnt. Die nach meinem Dafürhalten recht sinnvoll sind. So z.B. Fleiß, Treue in Partnerschaft und der Wertung des eigenen Wortes, eigenes Denken, was plötzlich en vogue ist und nicht mehr dem hemmungslosen Konsum anheimfällt. Viele Menschen kaufen seltener einfach glücklich, weil andere Sachen derzeit wichtiger erscheinen und das Geld auch nicht immer und überall so locker sitzt. Von den negativen Zeiterscheinungen möchte ich nur das Wiedererstarken der Blockwartattitude nennen. Diese scheint mit so mancher anderen politischen Unart wieder in Mode zu kommen. Dabei dachten wir doch gerade, ihren 80. Todestag zu begehen.
Nur eine Sache, die weder Geld kostet noch grundsätzlich auf den Bühnen der Politik ihren Platz hat, scheint ein wenig eingeschlafen zu sein: das Singen. Zumindest scheint es so. Oder wann haben Sie das letzte Mal gesungen? Die meisten von uns lassen doch lieber singen. Frei nach dem Motto Spotify machts möglich. Das ist so einfach und virtuos, dass viele sich nicht einmal mehr trauen, die eigene Stimme erklingen zu lassen.
Dabei scheint das wohl ein deutsches Problem zu sein. Wenn man mit einer Jugendgruppe zu einem Austausch ins europäische Ausland fährt, wird man regelmäßig gefragt: „Singt doch mal eines eurer Lieder.“ Ergebnis: betretenes Schweigen, schamrote Gesichter.
Auf dem Kirchentag in Hannover war das anders. Menschen sprachen nicht nur wie selbstverständlich miteinander, sondern sangen auch zusammen. Und das völlig ungeachtet des eigenen Stimmvermögens. Wenn es sein musste, dann eben schief. Hauptsache laut. Menschen trauten sich – mutig, stark, beherzt.
An einem Abend besuchte ich einen Blaulicht-Gottesdienst. Sie wissen schon, mit Feuerwehr, THW, Rettungsdiensten, Polizei und Notfallseelsorge. Plötzlich kamen ca. 20 Jugendliche dazu. Ich meinte mehr so aus Spaß: „Ihr müsst aber auch kräftig singen.“ Einer der Jungen antwortet nur: „Aber sicher!“ Die Kirche war so voll, dass noch Stühle dazugeholt werden mussten. Als der Gottesdienst begann, wurde gesungen. Alte und neue Lieder aus vollen Rohren. Man hatte das Gefühl, das Dach würde abheben; gut, melodisch und voller Inbrunst. Und ich sage Ihnen: Singen macht Spaß und vertreibt böse Geister.
Versuchen Sie es doch selbst einmal. Das Wetter ist schön und lieblich ist der Maien. Wer sollte es uns verwehren?
Ihnen ein schönes Wochenende.
Holger Kipp, Prädikant