Eine junge Amerikanerin hat sich entschlossen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das mag uns ein wenig merkwürdig erscheinen, vielleicht sogar unverständlich. Die Frage, die auf der Hand liegt, ist: Hat man denn in den USA nicht alles, was man braucht? Der Lebensstandard ist hoch, wenn man es sich leisten kann. Zu kaufen gibt es auch alles, was man möchte. Jedenfalls noch. Für ihre politische Meinung wurde sie nicht verfolgt, musste auch nicht vorsorglich begnadigt werden. Also, was treibt diese junge Frau zu uns nach Deutschland?
Es war Neugier. Wie mag es in diesem Land sein, dass doch in Disney Land so idealisiert dargestellt wird. Und mit diesem Vergnügungspark kannte sie sich ja aus. Kommt sie doch aus Florida. Neuschwanstein, Zuckerbäckerstil, Fachwerk und Lederhosen sind ihr nicht fremd. Also muss man doch mal gucken, ob das wirklich so ist.
Mit nichts als einem Koffer und einem Wörterbuch kam sie an. Eine waschechte Gastarbeiterin. Sie kannte kein Deutsch, fand aber liebe Menschen, die ihr halfen. Learning by Doing war angesagt, und es funktionierte. Eine Arbeitsstelle, die beide Sprachen miteinander verband, war schnell gefunden. Das Leben normalisiert sich; man kommt an. Dann traf sie einen jungen Mann. Die beiden verliebten sich, bekamen Kinder. Unweigerlich fragt man sich, wo man eigentlich hingehört. In ihre alte Heimat wollte sie nicht zurück. Deutschland bietet viele Vorteile, gerade mit Kindern, die wir Alteingesessenen immer so selbstverständlich hinnehmen. Und ein echter Grund in Europa zu leben ist, dass sich nicht alles Leben am wirtschaftlichen Erfolg ausrichtet. Auch wenn das einige wohl suggerieren mögen. Außerdem ist in ihrem Heimatort jedes Grundstück eingezäunt. Nicht der Verbrechen wegen, sondern damit die Kinder in der Sandkiste spielen können, ohne von Krokodilen gefressen zu werden. Das gibt es hier nicht.
Sie glaubt fest, für sich das gute Teil ergriffen zu haben. Im Lukasevangelium heißt es an einer ähnlichen Entscheidungsstelle: Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Auch Vielfalt und Offenheit sind positive Tugenden unserer Gesellschaft. Die junge Frau aus den USA hat sie zumindest als solche bei uns erkannt und erlebt. Das ist für sie mehr wert als Gold.
Vielleicht sollten wir uns auf das konzentrieren, was wir besonders gut können, denn da ist wirklich Gutes dabei.
Ihnen ein schönes Wochenende.
Prädikant Holger Kipp