Es gibt Tage, die verändern alles. Für einen Menschen, für eine Familie oder sogar für die Gesellschaft. Ein solcher Tag ist der 24.01.2023. Da ist das Unfassbare geschehen: In unserer Stadt hat ein Jugendlicher einen anderen Jugendlichen ermordet.
Wie soll man mit einem solchem Datum umgehen, einem Tag, der an diese unfassbare Tat erinnert?
Der erste Impuls ist sicherlich, so schnell wie möglich zu versuchen, wieder zum Alltag überzugehen. Und wenn der Jahrestag kommt, zu verdrängen und nicht davon zu sprechen.
Die Familie des ermordeten Jugendlichen hat an zwei Orten in der Stadt jeweils zwei Bäume pflanzen lassen, die an die beiden Jungen erinnern sollen.
Ein Apfel- und ein Birnbaum. Zeichen der Erinnerung und der Hoffnung, ja auch der Mahnung.
Zwei Bäume stehen in Blumenau. Die anderen an der Ev. IGS, wo beide zur Schule gegangen sind. Wir beide waren beim Pflanzen dabei. Wir haben in einer kleinen Andacht von unserer Hoffnung erzählt: Dass Gott, aus dem unser aller Leben kommt und zu dem wir alle wieder zurückkehren, unsere Trauer, unsere Fassungslosigkeit, unser Verstummen und unsere Verzweiflung mit aushält. Und dass der ermordete Junge jetzt in Gottes Ewigkeit ist. Gehalten und getragen.
Die Bäume sind Zeichen dieser Hoffnung. Aber sie stehen auch dafür, dass etwas Schreckliches sichtbar bleibt.
Auch so manche Gespräche seitdem haben wir beide gemeinsam geführt - in ökumenischer Verbundenheit haben wir uns gegenseitig unterstützt.
Seit der Trauerfeier ist uns die biblische Geschichte des Zöllners Zachäus wichtig geworden.
Auch dort spielt ein Baum eine wichtige Rolle. Zachäus ist ein kleiner Mann, er hat viele Menschen betrogen, und er wird von allen ausgegrenzt. Als er hört, dass Jesus vorbeikommt, möchte er ihn sehen. Weil er so klein ist und die anderen ihn nicht durchlassen wollen, klettert Zachäus auf einen Baum. Auch als die Leute ihn ermahnen, lässt er sich nicht beirren und versucht weiter, Jesus auf sich aufmerksam zu machen. Und das Unerwartete geschieht: Jesus sieht ihn und spricht ihn an und will bei ihm zu Gast sein.
Das kann nur geschehen, weil Zachäus sich selbst in seiner Unvollkommenheit annimmt und Jesu Zusage auf Heilung vertraut. Weil er auf den Baum gestiegen ist, ist er ganz und gar sichtbar, verdrängt nicht, versteckt sich nicht, ist angreifbar, ja die Menschen empören sich. Das alles ist notwendig, damit er selbst sich ändern kann.
Deshalb: Wir brauchen Orte, die uns an entscheidende Ereignisse in unserem Leben erinnern, auch an Schreckliches, damit es unter uns sichtbar bleibt. Nur so kann im Miteinander Veränderung geschehen. Solche Orte der Erinnerung, der Hoffnung, der Mahnung und der Befreiung sind notwendig, damit Begegnung, Versöhnung und dann auch Heilung geschehen kann.
Pastorin Franziska Oberheide und Pfarrer Andreas Körner