Superintendenten aus dem Sprengel Hannover besuchen Fliegerhorst
„Wer zu spät kommt, muss 20 Liegestütze machen“, hört man es aus der Gruppe scherzen, die am Maschendrahtzaun wartet, um geschlossen den Bus besteigen können. Die Stimmung ist heiter, wohl auch, um manch eigene Vorbehalte gegenüber der Bundeswehr zu überspielen. Die Situation ist nicht alltäglich. Der Stacheldraht markiert messerscharf, dass hier nicht jeder einfach mal vorbeischauen kann. Hinter dem Zaun liegt der Fliegerhorst Wunstorf. Von dort fliegen derzeit 20 militärische Transportflugzeuge vom Typ A400M in Einsatzgebiete in der ganzen Welt.
Martin Buschhorn von der Pressestelle des Lufttransportgeschwader 62 begrüßt die Superintendenten und Superintendentinnen des Sprengels Hannover ausgesprochen freundlich. „Mein Dienstgrad lautet Regierungsobersekretär, aber ich bin Zivilist wie Sie.“, sagt er, fast schon beruhigend. Die Anwesenheitskontrolle erledigt er ganz beiläufig, fast unauffällig, aber nicht weniger genau. Erst wenn hinter jedem Namen ein Haken steht, startet der Bus. Die Liste dient sozusagen als Eintrittskarte bei der Einfahrt auf das Truppengelände. Am Wunstorfer Standort sind rund 2.450 Personen beschäftigt. Die Bundeswehr ist der größte Arbeitgeber in der Region.
„Bundeswehr und Kirche – das sind zwei ganz eigene Welten. Und meine Kirchenleitungskollegen und ich wollten diese besondere Welt vor unserer Haustür ein wenig besser kennenlernen“, begründet Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr den Besuch beim Militär. „Bestenfalls entdecken wir Schnittmengen, wo wir uns ähnlich sind.“
Eine solche, zentrale Schnittmenge ist die Evangelische Militärseelsorge. Pastorin Dr. Alexandra Dierks ist die Militärpfarrerin des Fliegerhorstes. Sie ist die erste Gesprächspartnerin des Tages und vermittelt einen anschaulichen Eindruck vom Truppenalltag: „Die Bundeswehr ist mittlerweile eine Pendlerarmee. Ganz viele wohnen nicht in der Umgebung. Neben Tagespendlern fahren manche nur zum Wochenende zu ihren Familien.“ Die allermeisten, der in Wunstorf stationierten Bundeswehrangehörigen sind nach Auskunft der Seelsorgerin hochqualifizierte Fachkräfte, wie Piloten, Ingenieure, Fluggerätemechaniker, Avioniker - mit einem hohen Identifikationsgrad für ihren Job und mit hoher Belastung.
„Soldaten sind Menschen und Menschen haben manchmal Probleme.“, sagt Dierks. „Und das sind dieselben, die überall vorkommen: Sterbefälle in der Familie, ein krankes Kind oder Schwierigkeiten in der Ehe.“ Natürlich gebe es auch dienstliche Konflikte, etwa mit Kameraden oder Vorgesetzen.
„Ich bin die unterste Eskalationsstufe. Bei mir darf jeder erstmal erzählen und dann wird gemeinsam überlegt, wie man tätig wird oder ob überhaupt.“, so Dierks. Manchmal reiche es schon, einfach etwas loswerden zu können. „Oft bin ich Vermittlerin, denn ich bin neutral und kann daher einen vertrauensvollen Rahmen für ein Gespräch zu ermöglichen. Das ist gerade in einem hierarchischen System wichtig.“ Pastorin Dirks nennt das ein Privileg der Position: „Ich gehöre voll dazu, aber eben doch nicht ganz.“
Diese besondere Stellung innerhalb der Bundeswehr ist im Militärseelsorgevertrag von 1957 festgehalten. Danach sind Militärseelsorger „rangneutral“, anders etwa als in anderen Ländern, wo sie z.T. sogar Waffen tragen. Sie gehören nicht zur militärischen Hierarchie und sind nicht an den militärischen Dienstweg gebunden. Militärpfarrerinnen sind den Kommandeuren auf Zusammenarbeit zugeordnet. „Ich kann grundsätzlich mit jeder Person unabhängig vom Dienstgrad sprechen und mich so direkt um Hilfe kümmern.“, hebt Pastorin Dierks hervor. Neben der Seelsorge und der Moderation bei Konflikten kümmert sie die Theologin um Gottesdienste, Andachten, Lebenskundlichen Unterricht und Rüstzeiten. Letzteres sei so etwas wie Konfirmandenfreizeit für Erwachsene, aber mit ernstem geistlichen Anspruch.
Für die Organisation ihrer Arbeit kann Pastorin Dierks auf die Hilfe von Ute Ebner setzen. Sie ist Pfarrhelferin. „Das ist eine großartige Erfindung, die das Leben leichter macht.“, sagt Dierks. Pfarrhelfer kümmern sich um alles, was mit Geld, Verwaltung, Papier und Planung zu tun hat. „So kann ich mich ganz auf Unterricht, Seelsorge und Gottesdienste konzentrieren.“ Die Superintendenten geben neidisch zu: „Solche Administratoren wären auch in unseren Kirchengemeinden Gold wert.“ Neben der organisatorischen Hilfe sei auch der Draht zur Geschwaderführung für die Arbeit als Militärseelsorgerin entscheidend. „Ich werde vom Kommodore in meiner Arbeit sehr unterstützt“, stellt Dierks zufrieden fest.
Gemeint ist Oberst Bette, der seit 2014 Kommodore und damit Leiter des Fliegerhorstes ist. Die grauen Haare des 56-jährigen tun seiner sportlich-schlanken Erscheinung keinen Abbruch, eher lassen sie ihn kernig wirken. Der Kommodore empfängt den kirchlichen Besuch im dunkelgrünen Flieger-Overall. Er müsse gleich noch in den Flugsimulator. Ein riesiger weißer Kasten, in dem Piloten einen Großteil ihrer Ausbildung absolvieren und Zeit ihres Berufslebens weiter trainieren.
Wenn Oberst Bette spricht, merkt man schnell, dass sich seine natürliche Autorität nicht den Abzeichen auf seiner Schulter verdankt, sondern auf Sachverstand, Klarheit in der Sprache und politischer Weitsicht beruht. „Nie wieder Krieg, heißt auch nie wieder allein.“, sagt der erfahrene Pilot. Eine wirksame Sicherheits- und Verteidigungspolitik könne nur gemeinsam mit den europäischen Partnern erreicht werden. Das sei ein Dauerthema in Eindhoven, wo das Europäische Lufttransportkommando multinationale Einsätze koordiniert und beauftragt. Auch die Ausbildung sei mittlerweile multinational aufgestellt, Frankreich und Großbritannien sind beispielsweise wichtige Partner.
Als Oberst Bette auf die Auslandseinsätze und deren Gefahren zu sprechen kommt, enden seine Sätze oft mit „dann hat man gute Chancen wieder heil nach Hause zu kommen“. Ob man auch Gedanken zulasse, dass es möglicherweise anders kommen könne, will jemand aus der Runde wissen. „Wenn Sie eine A400M in einem Bedrohungsgebiet bei völliger Dunkelheit landen, sind Sie allein darauf konzentriert.“, antwortet Bette. Umso wichtiger sei eine Unterstützung der Soldatinnen und Soldaten im Anschluss. Die Militärseelsorge ist ein wichtiges Angebot im Psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr. Truppenärzte arbeiten hier mit Sozialarbeitern, Seelsorgern und Psychologen zusammen. „Ich sehe, dass es auch ein Bedürfnis gibt, an Gottesdiensten teilzunehmen, um über Leib und Leben nachzudenken.“, stellt der Oberst fest. Für ihn sei die persönliche Überzeugung wichtig, dass das eigene Handeln auf Grundlage christlicher Werte geschehe, bekennt Bette.
Nach der eindrücklichen Begegnung mit dem Kommodore führt Martin Buschhorn die Superintendentinnen und Superintendenten auf das Flugfeld, um eine A400M zu besichtigen und mit Technikern ins Gespräch zu kommen. Obwohl das Flugzeug am Boden steht, ist es ziemlich laut im Cockpit und im Laderaum. „Das ist die Lüftung der Computertechnik“, stellt Buschhorn fest. Zurück im Bus, der vom Truppengelände führt, fasst Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr das Erlebte zusammen: „Mich beeindruckt, wie professionell und entschieden die Soldatinnen und Soldaten ihren Aufgaben nachgehen. Hier zeigt sich, dass in jedem Beruf eine Berufung stecken kann.“
Text: Fabian Gartmann, Öffentlichkeitsarbeit im Sprengel Hannover