Neustadt. Mit klaren und starken Aussagen hat Dirk Pejril, Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, bei einer Veranstaltung im Gemeindehaus von Neustadts Johannesgemeinde Stellung zur Bedrohung von Rechts bezogen: „Der Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie“, sagte der ehemalige Polizist vor mehr als 120 Zuhörern zu Elisabeth Woldt. Die landespolitische Korrespondentin der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und stellvertretende Vorsitzende der Landespressekonferenz Niedersachsen moderierte den Abend.
Initiiert hatte die gut besuchte Diskussionsrunde im modernen Gemeindehaus ein Bündnis von Kirche, Neustädter Parteien und Organisationen, die gemeinsam gegen Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie eintreten.
Das Neustädter Bündnis hatte einen ersten publikumswirksamen Auftritt bereits im Januar. Zum Jahresbeginn organisierten die Aktiven eine große Demonstration mit weit über 1.000 Teilnehmenden. Unterstützt wurde die Aktion von insgesamt 22 demokratischen Parteien, den Kirchen, Gewerkschaften, Verbänden, Vereinen und Schulen.
Verfassungsschutzpräsident Pejril stellte nun in seinem Vortrag im Gemeindehaus von Johannes klar, dass für ihn der Rechtsextremismus bereits seit geraumer Zeit die größte Bedrohung ist, der Rechtsstaat und Demokratie in Deutschland ausgesetzt sind. „Auch islamistischer Terror und linksextreme Gewalt fordern die Wehrhaftigkeit der Demokratie heraus“, sagte der Behördenleiter während seines Vortrags „Die Rechtsextremisten sind in ihrem Handeln aber wesentlich subtiler.“
Grundsätzlich sei ihr Verstoß gegen die Verfassung allerdings klar erkennbar, sagte Pejril: „Sie gehen von einer Ungleichwertigkeit der Menschen aus – das widerspricht dem Artikel 1 des Grundgesetzes, dessen erster Satz klarstellt, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.“
Im Gespräch zeigte Niedersachsens oberster Verfassungsschützer noch weitere Erkenntnisse auf, die betroffen machen und die es zu beachten gilt: So hätten in einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in der nahen Vergangenheit acht Prozent der Befragten zugegeben, dass sie ein rechtsextremes Weltbild teilen. „Wir stellen bei Rechtsextremen einen Strategiewechsel fest“, sagt Pejril. „Statt auf Fundamentalopposition setzten die Neuen Rechten aktuell bereits auf die Machtoption“, sagte er. „Da wird auch schon von Machtergreifung gesprochen. Das sind Originaltöne, die man aus der Szene hört“, warnte Pejril. „In der Studie haben außerdem sechs Prozent der Teilnehmenden eine Diktatur befürwortet. Das zeigt uns im Ergebnis, dass die Rechtsextremen ihr Weltbild in der Gesellschaft verbreiten wollen – und damit auch Erfolg haben.“
Die multiple Krise rund um steigende Preise und die reale Angst vor Krieg würde Angst und Sorgen verbreiten, die sich Rechtsextremisten zunutze machen. Zum Einsatz kämen dabei zunehmend auch die digitalen Medien. So sei etwa der Online-Dienst TikTok, laut Pejril, der neue „Volksempfänger“ der AfD. „In der digitalen Welt sind die rechtsextremistischen Parteien deutlich besser aufgestellt als der Rest“, sagte er und rät den demokratischen Parteien, sich in ein besseres Licht zu stellen. „Tut Gutes und redet darüber“, lautete sein Credo nicht nur zu diesem Punkt.
Der Einfluss auf den allgemeinen Sprachgebrauch diene dabei als geeignetes Transportmittel für rechte Ideologien und eben, wie jüngst ein Beispiel auf Sylt gezeigt habe, auch die Musik. „Es gelingt den Verantwortlichen immer wieder auf unterschiedlichen, gerade auch auf den digitalen Kommunikationswegen, lange verpöntes NS-Vokabular in die Alltagssprache einzuschmuggeln, um so die Gedanken dahinter salonfähig zu machen“, sagte Pejril.
Das Treffen zahlreicher Rechter in Potsdam, bei dem auch von einer „Remigration“ unerwünschter Migranten die Rede war, habe dann „zu Recht eine Welle der Empörung ausgelöst“, sagte der Verfassungsschutzpräsident.
Gleiches gelte für den Fall der zu Disco-Musik gegrölten Nazi-Parolen auf Sylt. „Dass dort gut situierte junge Menschen in einer ganz normalen Disco Parolen skandierten, ist aber ebenfalls ein Anzeichen“ resümiert Pejril. Für die Hassbotschaften aus dem Netz seien allerdings nicht nur junge Leute empfänglich – da sei die Basis deutlich breiter.
„Und das Ergebnis ist immer öfter auch Gewalt, wie vor Jahren beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke oder den zahlreichen Angriffen auf Politikerinnen und Politiker im aktuellen Europa-Wahlkampf“, erläuterte Pejril.
Deutlich war der Verfassungsschützer auch, wenn es um die AfD ging: Der völkisch-nationalistische Flügel um Björn Höcke dominiere die Partei und wolle nun Regierungsverantwortung übernehmen. Was sie vorhätten, benennt Pejril als „invasive Politik“. „Es geht darum, die Demokratie von innen heraus mit eigenen Mitteln zu schlagen“, sagte er. Und betonte: „Dass eine Partei demokratisch gewählt ist, heißt nicht, dass sie auch demokratisch ist.“ Einem Verbot steht Pejril dennoch kritisch gegenüber und hält diesen Schritt „aus fachlichen Erwägungen heraus“ für nicht ratsam. „Der Staat würde auf diese Weise nur das ohnehin vorhandene Opfer-Narrativ der Gruppierung bedienen“, sagte er.
Pejril rief Politiker und politisch Interessierte auf, weiter Flagge zu zeigen und bei Bedarf die Diskussion zu suchen. Gerade auch bei verbalen Entgleisungen sei jeder gefragt. „Es wäre in der heutigen Zeit nicht möglich, jeden zu verfolgen, der eine abstruse Meinung äußert. Früher am Stammtisch hätte man sich wohl gegenseitig direkt die Meinung gegeigt. In den Online-Netzwerken und im Schutz der Anonymität haben viele aber jede Hemmschwelle verloren, andere mit Hass und Hetze zu überziehen.“
Unterstützung gab es von den Gastgebern: Pastorin Sarah Pantke rief dazu auf, dass jeder und jede im eigenen Bereich darauf achten müsse, die Menschlichkeit zu bewahren.