Erinnerung als Auftrag
„Antisemitismus ist keine Frage der Vergangenheit – er ist eine Herausforderung der Gegenwart.“ Mit klaren Worten und eindringlichen Bildern hat Pastorin Prof. Dr. Ursula Rudnick, Beauftragte der hannoverschen Landeskirche für Kirche und Judentum, im Radiogottesdienst am 9. November in der Jakobuskirche Hagen zum Nachdenken aufgerufen. Unter dem Titel „Antisemitismus erinnern“ wurde der Gottesdienst live auf NDR Info übertragen – 87 Jahre nach der Reichspogromnacht.
Vom Leid der Geschichte zur Verantwortung heute
In ihrer Predigt über die Klagelieder des Alten Testaments schlug Rudnick den Bogen von den Ereignissen des 9. November 1938 bis in die Gegenwart: „Diese Worte sind über zweitausend Jahre alt – und sie könnten von Menschen stammen, die heute unter Gewalt, Hass und Angst leiden.“ Sie erinnerte an die zerstörte Synagoge in Neustadt am Rübenberge und an das Schicksal der jüdischen Familie Samuel aus Hagen, die in den 1940er-Jahren deportiert und ermordet wurde. Damit brachte sie die Geschichte des kleinen Ortes unüberhörbar mit der großen deutschen Tragödie in Verbindung.
Gedenken heißt Haltung zeigen
Der Gottesdienst griff die Pogromnacht nicht nur als Gedenkanlass, sondern als Aufruf zu Haltung auf. „Antisemitismus zerstört unsere Gesellschaft“, sagte Rudnick. „Er zeigt sich in Hass, in Gleichgültigkeit – und in unserem Schweigen.“ Sie mahnte, Christinnen und Christen müssten „sichtbar und hörbar widersprechen – mit Haltung, Wort und Tat“. Dabei zitierte sie den Berliner Pfarrer Helmut Gollwitzer, der 1938 den Mut hatte, öffentlich gegen das Wegsehen der Kirchen zu predigen: „Draußen wartet unser Nächster – notleidend, schutzlos, gejagt. Jesus Christus wartet darauf!“
Verantwortung leben – heute und morgen
Zum Abschluss stellte Ursula Rudnick das Projekt Welcome Places vor – eine Initiative, die Schutzräume für Menschen in Bedrängnis schaffen will. Gemeinden, Vereine oder Geschäfte können sich beteiligen und durch ein sichtbares Zeichen zeigen: Hier findet, wer bedroht ist, Zuflucht. „Das ist gelebte Verantwortung“, sagte Rudnick. „Damit niemand mehr sagen muss: Ich bin verloren.“
Ein starkes Zeichen aus Hagen
Musikalisch gestalteten das Duo Stellena und Organist Johannes Hahn den Gottesdienst. Neben Rudnick wirkten Hagens Pastor Dirk Heuer und Teamerin Hannah Meinke mit. Für die Besucherinnen und Besucher ebenso wie für die Hörerinnen und Hörer war der Gottesdienst ein eindrucksvoller Moment des Innehaltens und der Erinnerung auch an die Verantwortung in der heutigen Zeit.
Der Radiogottesdienst aus Hagen zeigte, wie Erinnerung und Gegenwart ineinandergreifen. Er machte deutlich, dass Gedenken nicht stillstehen darf – sondern zum Handeln ruft.