Der Herbst ist nun endgültig in unser Leben eingezogen. Früh am Morgen liegen oft dicke Nebelschwaden über der Schöpfung Gottes. Wie ein von Kälte durchtränkter Schleier lassen sie den Tag trüb und grau beginnen. Doch dann geschieht plötzlich, was ich in der Frühe für noch nicht für möglich gehalten habe: Der Nebel weicht mehr und mehr. Der Himmel öffnet sich und die Sonne erleuchtet mit ihren herbstzarten Strahlen den Tag. In diesem Jahr spüre ich die Gegensätze, die der Herbst in unser Leben bringt, auf eine ganz besondere Weise. Auf der einen Seite ist da die Fülle mit denen wir von Gott beschenkt werden, auf der anderen Seite spüre ich aber auch die Vergänglichkeit, die Gott in unser Leben gelegt hat. Doch die Ambivalenzen des Lebens werden nicht nur von Gott geschaffen. Nein, auch wir Menschen prägen einander unser Leben. Der 9. November steht wohl wie kein anderer Tag für die Gegensätzlichkeiten des menschlichen Lebens. In die Geschichte ist er als der „Schicksalstag der Deutschen“ eingegangen. In der Nacht vom 09.November 1938 auf den 10. November 1938 brannten allüberall die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen. Alles, was mit jüdischen Leben in Verbindung gebracht wurde, sollte ausgelöscht werden. Über 400 Menschen fanden den Tod und Unzählige wurden verschleppt. Der 09. November 1938 steht für mich für einen absoluten Tiefpunkt der menschlichen Geschichte. Es wurden Grenzen überschritten, die in den folgenden Jahren eine unaufhaltsame Kaskade der Gewalt in Gang setzten. Aber der 09. November trägt auch ein Happy End in sich. Am 09. November 1989 kam es zum gewaltlosen Fall der Mauer. Die Menschen Ostdeutschlands waren nicht mehr bereit, sich weiterhin von den Repressalien in die Enge treiben zu lassen. Nun zogen sie friedlich mit Kerzen und Gebeten los. Ja, ambivalent ist unser Leben und wir haben es in der Hand, ob wir unser Leben einander mit einem dichten grauen Nebel überziehen oder ob wir einander goldene Momente schaffen.
Sarah Pantke, Pastorin in Neustadt