Als ich ein junger Mann war, träumte ich von der großen Freiheit. Gewiss, das tun viele Menschen. Doch ich träumte nicht von einer individuelle Freiheit, in der ich tun und lassen kann, was ich will, und wenn es unter Verwendung der Ellenbogen sei. Nein, ich träumte von einer Freiheit, hinzugehen wo ich wollte und zu sagen, was ich dachte – von einer freien Welt. Die Zeichen standen ja auch nicht schlecht. Mit der Wiedervereinigung wurde es auch möglich, den Osten zu bereisen. Und dann plötzlich zogen sich wieder Zäune hoch. Krieg in Afghanistan, Verteilungsprobleme weltweit. Erstarken eines fundamentalistischen Islams. Der viel besungene Wind of Change wurde zu einem lauen Lüftchen. Doch nicht nur in unserer Umwelt wurden die Grenzen breiter, auch in uns selbst. So waren Dinge wie Body Shaming unter Jugendlichen in der Freizügigkeit der 70er-, 80er- und 90er-Jahre undenkbar.
Und heute herrscht Unzufriedenheit mit der Politik, Furcht vor Krieg, unstabilen wirtschaftlichen Umständen und vielem mehr. Nach neusten Pressemeldungen nehmen Gewaltverbrechen zu und der Wunsch nach Änderungen auch. Aber es ist nicht die Zeit der Stammtischparolen und einfachen Lösungen. Das hat noch nie wirklich funktioniert. Außerdem ist Machen ein Tu-Wort, und Aktion beginnt bekanntlich bei uns selbst. Und das Nachdenken über Lösungen und Wege, die tragfähig sind auch.
Ich bin der gute Hirte, sagt Jesus. Ich lasse mein Leben für die Schafe. Der Mietling, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.
Auch wenn Sie nicht glauben oder aus der Kirche ausgetreten sind, daran, was der Mann aus Nazareth sagt, kann man sich ein Beispiel nehmen. Und es zeigt, dass gelingendes Miteinander nur aus einem vertrauensvollen Füreinander entspringen kann. Verantwortung tragen ist eben eines des unaufgebbaren Tu-Worte der Demokratie. Denn der Traum von einer freien Welt ist noch lange nicht ausgeträumt.
Prädikant Holger Kipp