Odyssee eines Steines
Haben Sie schon mal den kleinen Grabstein an der Luther Kirche neben den Glocken bemerkt? Und wissen Sie, welchen Weg er hinter sich hat?
Dieser aus Weserstein kunstvoll gehauene Grabstein schmückte das Grab von Maria Margaretha Going. Seine Inschrift lautet:
„Joh. Didrich Going, des Krügers Tochter Maria Margaretha, so an einer hitzigen Krankheit und den Kinder Schürckrin gestorben, alt 8 Jahr und 7 Monath.
Das Mädchen wurde vor der Verheiratung geboren und am 12. September 1719 als Tochter des Krugwirtes Going getauft - so steht es im Kirchenbuch. Im Mai 1728 verstarb das Mädchen und wurde auf dem Friedhof um die Luther Kirche beigesetzt. Die Eltern ließen diesen Garbstein anlegen.
Luthe blieb von Notzeiten und großen Bränden nicht verschont. Der Grabstein überstand all das. Irgendwann wurde die Grabstelle aufgelöst, der Stein vom Gräberfeld um die Kirche entfernt und als Grenzstein verwandt. Seine Aufgabe bestand darin, die Grenze zweier Ackerflächen zwischen dem Bürgermeister-Ohlendorf-Weg und Am Lehmstich zu markieren. Obwohl er tief eingegraben war, haben Pflugschare scharfe Spuren auf seinem Scheitel hinterlassen, Wind und Sonne, Kälte und Hitze an ihm genagt. Menschen und Tiere zogen an ihm vorüber.
Wieder vergingen Jahre und Luthe, ein Bauerndorf, wurde begehrtes Wohngebiet. Neues Baugelände wurde erschlossen. Wie immer, wenn neue Grundstücksgrenzen festgelegt werden, wird auf alte Grenzpunkte zurückgegriffen. Auch dieser Grenzstein wurde bei Verrmessungsarbeiten im Jahr 1974 freigelegt und durch einen genormten Betonstein ersetzt.
Nun lag er am Wegesrand. Zwei kleine Mädchen kamen zufällig des Weges und interessierten sich für den verdreckten, aber mit Inschriften verzierten Stein. Das Vermessungspersonal freute sich über das Interesse der Kinder und lud den Stein auf ihren Schlitten. Aufgeregt kamen sie damit nach Hause und berichtetetn den Eltern von der Errungenschaft. Gemeinsam mit dem Vater wurde das Relikt der Vergangenheit gereinigt und bestaunt. Gerätselt wurde, woher der Stein kommt, wo das Kind gelebt hat und woran es gestorben ist. Es gab keine erschöpfende Antwort auf all die Fragen. Im Garten der Familie, versteckt hinter Büschen und Blumen, erhielt der Stein einen Platz - unbeachtet und von niemandem zu erkennen. Der Stein geriet in Vergessenheit.
Wieder vergingen Jahrzehnte. Der Vater der Kinder entwickelte Interesse an der Geschichte des Dorfes Luthe. So stellte er Nachforschungen über die Irrfahrt des Grab- und Grenzsteines an, der, wie anfangs beschrieben, seinen ersten Platz an der Kirche hatte. Er ist der einzige noch vorhandene Garbstein aus dieser Zeitepoche und ziert heute den alten Kirchtrum in Gesellschaft mit den alten Stahlglocken.
Kommen Sie doch mal an der Luther Kirche vorbei und betrachten Sie den fast 300 Jahre alten Grabstein aus der Nähe.
B. Bölsing
So war das damals - zwanzig Eier für eine Operation
Bereits 1883 wurde unter dem damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck die Krankenversicherungspflicht für Arbeitnehmer eingeführt.
Die Versicherungsbeiträge werden von Anfang an gemeinsam von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen. Vielen selbstständigen Landwirten war es damals finanziell nicht möglich, die Beiträge in voller Höhe aufzubringen. So bestand vorerst für diesen Personenkreis keine Pflichtversicherung. Erst 1972 konnte auch die landwirtschaftliche Bevölkerung u.a. durch den Einsatz zusätzlicher Bundesmittel mit in den gesetzlichen Krankenversicherungsschutz einbezogen werden.
Vorher hatten selbstständige Landwirte lediglich die Möglichkeit, sich und ihre Familien privat gegen Krankheitsrisiken versichern. Die relativ hohen Beiträge hierfür mussten von den Höfen, die in Kolenfeld damals durch eine überwiegend kleinbäuerliche Betriebsstruktur geprägt waren, aufgebracht werden. Diese Höfe, die oft drei Generationen zu unterhalten hatten, waren hierzu in den meisten Fällen nicht in der Lage. So konnte eine mangelnde Gesundheitsvorsorge in Bauernfamilien zu schweren Erkrankungen und existenzbedrohende Folgen für den Hof führen. Manchmal soll wegen der Kosten eher der Tierarzt zum Vieh als der Arzt in die Familie gerufen worden sein.
Von einem Krankheitsfall, der aus dem üblichen Rahmen fiel, wussten ältere Kolenfelder zu berichten:
Die Frau eines Landwirtes, der mit seiner kinderreichen Familie und mit Altenteilern auf einem kleinen Hof ein kärgliches Leben fristete, war an einer Blinddarmentzündung erkrankt. Die Familie wusste nicht, wie sie die Operationskosten finanzieren sollte. In ihrer Not bat sie Pastor Thies um Hilfe. Dieser Pastor, der von 1895 bis 1932 in Kolenfeld amtierte, stammte selbst aus einer Bauernfamilie und kannte so die Sorgen und Nöte seiner Gemeindeglieder. Er nutzte seine guten Kontakte zu dem damaligen Chefarzt des Henriettenstiftes in Hannover und erreichte bei ihm, dass das Krankenhaus im Fall der Kolenfelder Bäuerin auf eine Kostenerstattung verzichtete. Nach der erfolgreich verlaufenen Operation dankte die Frau dem Arzt für seine Bemühungen und fragte ihn: „Herr Professor, wat kreiget sei nu för de Operation?“ „Geben Sie mir eine Stiege Eier (20 Stück), dann ist die Sache erledigt,“ antwortete der Arzt. Für diesen Preis kann in unserer Zeit wohl keine Operation durchgeführt werden!
Pastor Thies hat auch die soziale Dorfentwicklung im Rahmen seiner Möglichkeiten gefördert. Nach dem Motto “Was einer nicht schafft, das schaffen viele“ gründete er um 1900 mit Maurermeister Riechers u. a. die Spar- und Darlehenskasse Kolenfeld. So bestand für die Kolenfelder Bevölkerung die Möglichkeit, zinsgünstige Darlehen zu erhalten. Berichtet wird auch, dass der Pastor die Einrichtung eines Konsumladens, der Nahrungsmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs preiswert anbot, unterstützt habe.
Im Ersten Weltkrieg hatte der „Vaterländische Frauenverein“ als Aktion der Heimatfront Frauen aufgerufen, Socken als „Liebesgabe“ für die Soldaten an der Front zu stricken. Viele Kolenfelder Frauen folgten diesem Aufruf, strickten fleißig graue Soldatensocken und brachten sie ins Pfarrhaus. In einem großen Rucksack transportierte der Pastor die Strickware nach Hannover und lieferte sie in der Villa des Generalfeldmarschalls und späteren Reichspräsidenten von Hindenburg ab. Ob Herr von Hindenburg, der in unserer Zeit besonders wegen seiner Politik als Reichspräsident kritisiert wird, selbst Kolenfelder Socken getragen hat, ist nicht bekannt.
Pastor Thies war in Kolenfeld Repräsentant der damaligen Gesellschaftsordnung und damit Respektsperson. Daran bestand damals besonders in Konfirmandenkreisen kein Zweifel.
Fast vier Jahrzehnte bis an sein Lebensende hat dieser Pastor in unserem Dorf gewirkt.Generationen von Kolenfeldern und Kolenfelderinnen begleitete er mit Gottesdiensten und mit Seelsorge über Höhen und durch Tiefen ihres Lebens. Ein Unfall beim Obstpflücken beendete im Oktober 1932 abrupt sein Leben.
Auf seinem Grabstein, der auf unserem Friedhof hinter der Friedhofskapelle aufgestellt wurde, lesen wir das Bibelwort: Ich muss wirken solange es Tag ist. ( Ev. Joh 9 V 4)
K.-R. Zöllner
Die Alte Kirche in Schloß Ricklingen erzählt:
Kirchen-Sitzplätze zu vermieten - Rettung möglich - mit allen Wassern gewaschen
Heute bin ich dran, die 327 Jahre alte Barock-Kirche in Schloß Ricklingen. Man nennt mich „Kleinod im norddeutschen Raum“ und bewundert gern meine prächtige Innenausstattung. Wer in mir eintritt, kann sich kaum vorstellen, dass es zwischenzeitliche Veränderungen gegeben hat. Eine gravierende war die Schaffung von mehr Sitzplätzen. Als ich 1694 festlich eingeweiht wurde, gab es in meiner Mitte einen 10-reihigen Gestühlsblock mit seitlichen Zugängen für Frauen und Kinder. Die Männer saßen in 3 kurzen Reihen unter der Westempore und in jeweils einer Reihe entlang der Nord- und Südwand. Das Gestühl hatte seitliche Türen mit „kostbaren Zierrathen“. In den etwas später eingebauten Priechen saßen die Patronats-Familie und der „Stand vors Ambt“. Da die Männer zu wenig Platz hatten, wurden in den beiden Seitengängen zwei weitere Reihen eingerichtet. Bald reichte der Platz für die größer werdende Gemeinde nicht mehr aus, und es wurde viel geplant, Anbauten erwogen, verworfen, neu durchdacht u. u…
Erst nach 1786 wurde nach vielem Hin und Her und den zu mietenden Sitzplätzen, ein Mittelgang geplant. (Die Mieteinnahmen brachten erforderliche Mittel, um 70 Plätze mehr zu gewinnen). Die Bänke rechts und links schafften die erhoffte Erweiterung und erscheinen Euch heute, als wären sie immer in mir so angeordnet gewesen. Ich war damals nicht glücklich über die Veränderung, zumal die prächtigen Verzierungen an den Seiten-Türen der Frauen wegfallen sollten. Es stellte sich heraus, dass sie total verwurmt waren und schnellstens beseitigt werden mussten.
Beseitigt wurde auch mein zur Einweihung gestifteter Taufengel, der an 2 Ketten vorn im Triumphbogen zu Taufen heruntergelassen wurde. Baumeister Hase ersetzte ihn durch ein kunstvolles, aber nicht zu mir passendes, Sandstein-Taufbecken, das in meinem Turmraum zu betrachten ist. Der Tausch passierte 1882 im Zuge der Orgel-Versetzung auf die Westempore. Ich war damals empört darüber, aber das nützte ja nichts. Die Ricklinger waren davon überzeugt, dass der Orgelklang von einem neuen Instrument dort viel besser wäre. Also wurde die Empore vergrößert und auf zwei Ständer-Säulen gestützt.
Zum Glück war die Gemeinde 1959 froh, als die alte barocke Orgel restauriert werden konnte und auf ihrem Platz über Altartisch und Kanzel wieder wunderbar ertönte. Seit dieser Zeit steht vorn in meinem Altarraum das `neu erworbene` alte Barock-Taufbecken, das ehemals ein Opferstock war. Passt es nicht wunderbar zu mir?
„Sehr viele alte Dorfkirchen sind (Anfang der 50er Jahre) nach dem Krieg in einem so schlechten, maroden Zustand, dass wir sie nicht alle retten können, diese wohl leider auch nicht….“ - Das waren die schlimmsten Worte, die ich je hier auf meinem Dünen-Platz in der Dorfmitte gehört habe, zum Glück ging es noch weiter: …. „Es sei denn, die Gemeinde bringt den erforderlichen Anteil für die Sanierung und die Renovierung auf.“ – Nicht lange nach der landeskirchlichen Bereisung und Begutachtung traf sich das Dorf in mir zum Planen. Natürlich sollte ich gerettet werden! Alle Männer des Dorfes, zu der Zeit noch überwiegend Landwirte und Handwerker, wurden für die verschiedenen Arbeiten eingeteilt, Frauen natürlich auch. Manche sorgten für die Beköstigung. Mein altes Kirchen-Herz bebte vor Begeisterung und Freude! - Vielleicht das Eure auch, wenn Ihr mich mal besucht. Meine Türen stehen offen, und Ihr könnt noch sehr viel mehr über mich erfahren – z.B. auch, dass mein Turm ursprünglich sehr hoch und weithin sichtbar war.
Gern möchte ich Euch noch kurz meinen verehrten Erbauer, den Amtmann Johann-Georg Voigt, vorstellen: Ich bin sein Privatgeschenk an unser Dorf, in dem es vorher noch keine Kirche gab. Seinem Herrgott und seiner früh verstorbenen Frau zu Ehren ließ der fromme und gottesfürchtige Mann mich bauen. Ich bewunderte ihn sehr. Er war eine Persönlichkeit mit hohem künstlerischem Niveau, studierter Landwirt und Jurist, oft auf Reisen in den Süden, hatte wichtige Beziehungen nach Herrenhausen, war ein organisatorisches Talent u. u. - und wagemutig, denn…im Oktober 1694 wurde ich nach nur 2 ½ Jahren Bauzeit eingeweiht, und die damalige `Bau-Genehmigung` (Gründungsurkunde) wurde erst im August des Jahres erteilt!
Ich freue mich auf Euren Besuch
Eure ALTE KIRCHE in Schloß Ricklingen
U. Wiebe
Wussten Sie, dass eine Lotterie die Sigwardskirche rettete?
Sicher kennen Sie sie – die Sigwardskirche in Idensen. Sie ist eine der berühmtesten romanischen Kirchen Deutschlands. Von 1129 bis 1134 wurde sie als Eigen- und Grabeskirche Bischof Sigwards von Minden erbaut. Ob Bischof Sigward dort tatsächlich begraben wurde, konnte leider bis heute nicht nachgewiesen werden.
Von außen besticht die Sigwardskirche durch ihre kühle Schlichtheit. Sie wurde aus glatt behauenen Sandsteinquadern, die aus dem Deister stammen, errichtet.
Betritt man den Innenraum der Kirche durch die alte Eichentür im Turm, fällt der Blick auf die Wandmalereien, die im Originalzustand aus der Erbauungszeit erhalten sind.
Seit dem 15. Jahrhundert waren die üppigen Ausmalungen durch mehrere Kalkanstriche überdeckt – nur aus diesem Grund blieben uns die Fresken bis heute erhalten.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die kleine Kirche für die wachsende Gemeinde zu klein. Schließich zählten zur Kirchengemeinde die Dörfer Niengraben, Idensermoor, Mesmerode, Bokeloh und Idensen. An gleicher Stelle sollte ein größeres Bauwerk entstehen. Der hannoversche Architekt Conrad Wilhelm Hase erhielt die Aufgabe zu überprüfen, ob dies machbar sei. Dank gründlicher Recherchen in den Chroniken der Mindener Bischöfe fand er Hinweise auf die Ausmalung der Kirche und legte ein kleines Stück der Fresken frei. Er vermutete weitere Schätze unter dem Anstrich und kämpfte gegen den Kirchenvorstand für die Erhaltung der Kirche. Schließlich stimmte dieser zu, auf dem gegenüberliegenden Grundstück eine neue Kirche zu errichten, wenn der Kirchengemeinde dadurch keine Kosten entstünden.
Conrad Wilhelm Hase hatte die zündende Idee: Über den Architekten- und Ingenieur-Verein, dessen Mitbegründer Hase war, initiierte er eine Lotterie zum „Zweck der Erhaltung der Stiftskirche zu Idensen“. Nun konnten Lose zum Preis von zwei Mark von jedermann erworben werden.
Aus dem Erlös konnte ein Drittel der Kosten für den Neubau einer Kirche finanziert werden, den Rest übernahmen das Kultusministerium in Berlin, die Landeskirche und der Kirchenkreis.
Erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Techniken, die Fresken freizulegen, ohne dass sie Schaden nahmen. Die ersten Erfolge durfte Conrad Wilhelm Hase noch miterleben.
Ute Herrmann