Fülle (Substantiv, feminin [die]) = große Menge, Zahl; Vielfalt, volle Intensität; volles Maß; Reichtum, der in etwas liegt
Die Blüten leuchten wie kleine Sonnen. Ohne Zahl. Soviel mal. Millionenmal. Überall an den Straßenrändern wächst er wieder: Der Raps. Soweit das Auge reicht. Er strahlt. Ich halte das Auto an und steige aus. Der Raps duftet nach Frühling und Honig. Fast zu süß und fast zu schwer ist der Geruch – ich werde beinahe erschlagen von seiner Wucht. Der Raps steht hoch. Und aus der Nähe kann ich auf einmal jede Blüte erkennen. Ganz genau. Lauter goldene kleine Rapssonnen. Eine neben und hinter der anderen. Bis zum Horizont. Eine ganze goldene Welt. Blütenmeer. Fülle. Ich gehe in das Rapsfeld. Die Blüten leuchten wie kleine Sonnen. Ganz nah an meinem Gesicht. Ich sehe sie genau. Jede einzelne. Jede Blüte - eine Welt für sich. Und ohne dass ich etwas dazu getan habe - sind sie da. Erlebe ich Fülle. Einfach so. Ein bisschen Scham empfinde ich. Gelber Reichtum liegt vor mir. Das Feld ist bestellt. Ganz ohne mein Zutun.
Morgen ist der Sonntag Rogate. Betet. Und ich denke an Jesus, der sagt: Bittet, so wird euch gegeben. Und ich sehe die Fülle des Rapsfeldes vor mir. Mehr als genug. Denke ich. Ich habe nicht einmal bitten müssen. Und trotzdem bin ich so beschenkt. Die Welt ist komplex. Ein einfacher Zusammenhang zwischen Bitten und Empfangen – der ist nicht sichtbar. Ich weiß: Manches Mal bitte ich und empfange nicht, was ich mir erhoffe. Und hier: Da sehe ich den Überfluss. Rieche den Duft des Frühlings. Staune über die Pracht und spüre tiefe Dankbarkeit. Bittet so wird euch gegeben. Sagt Jesus. Teilt mit Gott, was Euch bewegt. Eure Wünsche und Sehnsüchte. Eure Geheimnisse und Träume. Um des Gespräches willen. Bittet. Und Euch wird gegeben. Geantwortet. Beigestanden. Ich schaue auf das Rapsfeld. Und ich spüre: Neben dem Bitten bleibt mir auch, nicht selbstverständlich zu nehmen, was ich habe. Dankbar zu sein. Und: Zu teilen.
Pastorin Franziska Oberheide, Corvinus Wunstorf