„Irren mag menschlich sein, aber Zweifeln ist menschlicher, indem es gegen das Irren angeht.“ Mit diesen Worten von Ernst Bloch im Sinn schaue ich auf das Evangelium am 1. Sonntag nach Ostern. Synchron zu unserem Zeitablauf ereignet sich eine Woche nach der Auferstehung Jesu folgende Begebenheit: Die Jünger haben sich in Jerusalem in einem Haus versammelt. Diesmal ist auch Thomas dabei. Vor einer Woche, am Osterabend fehlte er und hatte Entscheidendes verpasst. Der Auferstandene war nämlich den anderen erschienen, hatte sie mit dem Heiligen Geist beschenkt und ihnen die Vollmacht zur Sündenvergebung verliehen. So hatten sie es Thomas erzählt. Aber Thomas glaubte ihnen nicht, jedenfalls nicht ohne Weiteres. „Zuerst muss ich ihn selbst gesehen und angefasst haben mit seinen Wunden in den Händen und in der Seite.“ Thomas zweifelt. Dafür hat man ihn oft gescholten im Laufe der Geschichte, aber zu Unrecht, wie ich meine. Man soll schließlich nicht alles glauben, was so erzählt wird. Menschen können irren, das gilt auch für Jünger. Vielleicht haben sich die zehn anderen ja etwas eingebildet. In aller Traurigkeit und Sehnsucht könnte ihnen die Phantasie einen Streich gespielt haben. Aber eins haben sie doch geschafft, nämlich Thomas neugierig zu machen. So sitzt er jetzt mit ihnen zusammen und wartet, ob auch er Jesus, den Auferstandenen, zu sehen bekommt. Und dieser zeigt Verständnis für den Zweifler und erscheint extra für ihn ein zweites Mal. Er fordert ihn auf, sich die Wundmale anzuschauen, ihn anzufassen und zu glauben. Thomas ist überwältigt und kann nur noch sagen: „Mein Herr und mein Gott!“ Aus dem Zweifel ist Gewissheit geworden, weil Thomas Jesus in Augenschein nehmen konnte. Damit hat er allen, die auf der Suche nach der Wahrheit sind, einen großen Dienst erwiesen. Der Zweifel ist das probate Mittel gegen den Irrtum. Er ist das ideale Werkzeug, um vermeintliche Wahrheiten, Wunschdenken und Fake News zu enttarnen. Und zudem hat Thomas seinem Zweifel auch noch eine theologisch fundierte Richtung gegeben. Glaubwürdig sei für ihn die Erscheinung des Auferstandenen nur dann, wenn er gleichzeitig als Gekreuzigter erkennbar ist. Die Identität muss gewahrt bleiben. Das Leiden am Kreuz darf nicht im Nachhinein negiert werden. Der auferstandene Jesus bestätigt diese Erwartung. Thomas bekommt Recht und vermittelt der Nachwelt somit eine wichtige Erkenntnis. Doch nicht jede Art von Zweifel lässt sich durch sinnliche Erfahrung widerlegen. Es gibt auch den existentiellen Zweifel, der sich auf alles und jedes richtet, auf die eigenen Person, die Mitmenschen, auf Gott, und der sich durch keinen Beweis beruhigen lässt. Da fehlt es dann an Grundvertrauen oder mit Jesus Worten: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Wiebke Dankowski, Pastorin in Dedensen-Gümmer